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Von Tobias Beck.

Der Wochenendtrip nach Shanghai hat sich gelohnt: wie ich den alten Ventilator in einem heruntergekommenen Nostalgiemarkt zwischen Mao-Blechanhängern, verstaubten Hongkongmagazinen aus den 80ern und Buddhafiguren sah, wusste ich auch schon, dass ich ihn haben musste. Sein schwerfälliger Charme und sein noch schwereres Gewicht wiesen den Ventilator als Repräsentanten einer längst vergangenen Zeit aus. Die schwarzen Schlieren auf seiner kupferfarben-weißen Oberfläche schrecken mich dabei nicht, sondern tragen nur noch weiter zu seiner Anziehungskraft bei. Ausschlaggebend für meine Kaufentscheidung war zudem die Tatsache, dass das Gerät trotz seinem 1970er Baujahr noch einsatzbereit war. Als ob es so sein negatives Image Lügen strafen wollte, prangt stolz das Label „Made in China“ auf dem Ventilatorpedal. „Allein schon der Materialwert beträgt wegen dem ganzen verbauten Kupfer mindestens 50 Yuan“ erklärt mir der Verkäufer, „solche Geräte werden heute gar nicht mehr hergestellt. Diese Art Ventilator kostete damals drei durchschnittliche Monatsgehälter.“ Nachdem er seinen Preis von 150 Yuan genannt hat, überlässt mir der Mann das Stück ohne zu zögern für 100.

Da ich schon länger nichts mehr auf Wechat Moments, einer Art Equivalent der Facebook-Chronik, gepostet habe, nehme ich diese Begebenheit zum Anlass, meinen chinesischen Freundes- und Bekanntenkreis über meinen Neuerwerb zu informieren. 21 Likes und 32 Kommentare bekomme ich dafür. Der erste Kommentar lobt sogleich die durch den Ventilator bewiesene Hochwertigkeit von Produkten „Made in China“ – ihm folgen sofort zwei weitere, ähnliche Beiträge. Mehrere Wechat-Bekanntschaften kommentieren höflich „cool!“. Eine Freundin meint: „so ein hässliches Ding – warum hast du dir keinen neuen Ventilator gekauft?“ – ein anderer fragt: „Ist das Dekoration oder zum Benutzen gedacht?“. Drei Leute vermelden: „so einen haben wir zuhause (auf dem Dorf in Sichuan) auch noch.“

Was ich vermutet hatte wird in der sich entspannenden Diskussion offensichtlich: die Wertung von „alt“ und „neu“ ist in diesem Land eine komplett andere. Wo man sich als Mitteleuropäer an Antiquitäten – umso älter, desto besser – erfreut, betrachtet man in China das Alte oft zunächst als minderwertig, hässlich und nutzlos, das Neue hingegen gilt als erstrebenswert. Nostalgie ist wahrscheinlich deshalb vielen Chinesen fremd, weil die bittere Vergangenheit den meisten noch viel zu nahe steht – gelegentlich steht sie sogar noch auf dem Wohnzimmertisch im sichuanesischen Heimatdorf! Oder leben hier auch noch Maos Kampagnen, die u.a. die Zerstörung der „Vier Alten“ (Denkweisen, Kultur, Gewohnheiten, Sitten) forderten, weiter fort? Diese Hingabe für das Neue und den „Fortschritt“ im Allgemeinen spiegelt sich vielleicht nicht nur in einer gewissen Ablehnung von Nostalgie oder Antiquitätenkauf, sondern findet in größerem Maßstab im Abriss ganzer alter Stadtteile für den Neubau glitzernder Glasfassaden ihre Entsprechung.

Man kann diese Einstellung natürlich bedauern. Andererseits sind die sozio-ökonomischen und historischen Gründe für den Hype um das Neue und die Verdammung des Alten auch zahlreich und offensichtlich. Auf eine gewisse Art und Weise lässt sich diese Denkweise sogar beneiden, ist es doch vor allem der mit diesen Zukunftserwartungen und sogar Zukunftsobsession einhergehende Optimismus, der eine Gesellschaft voranbringt.