Von Tobias Beck.
Reise nach China in Zeiten der Pandemie – ein Erfahrungsbericht aus dem August 2020
Der erste Schritt zur Rückkehr nach China ist – natürlich – ein Corona-Test. Nur wer von diesem
ein negatives Ergebnis vorweisen konnte, darf mitfliegen. So sammelten sich um 6:00 morgens die
ersten Reisewilligen vor dem Corona-Testzentrum am Frankfurt Flughafen. Genau zwölf Stunden
später hob Flug LH 0786 mit Ziel Qingdao ab.
Qingdao? Warum gerade die Biermetropole, ehemalige deutsche Kolonie, am Gelben Meer? Es
müssen wohl mehrere Gründe gewesen sein. Zum einen, da ein Großteil der Passagiere nach
Shanghai, ein anderer nach Beijing weiterreisen wollte und Qingdao gerade in der Mitte liegt.
Vielleicht auch, weil die Landerechte an einem kleineren Flughafen wie dem Qingdaos günstiger zu
beschaffen sind. Oder Qingdao wollte die Gelegenheit nutzen, sich den ausländischen
Quarantänegästen als freundlicher, professioneller Gastgeber zu präsentieren, bei dem sich auch das
Investieren lohnen könnte. Oder man mochte die zwei Metropolen Beijing und Shanghai nicht
direkt dem Risiko von Auslandsrückkehrern aussetzen und hatte stattdessen lieber die
„zweitrangige“ Stadt Qingdao auserkoren. Für letztere Erklärung spricht auch die Lage des
Quarantänehotels, welches sich in einem südlichen Vorort von Qingdao befindet.
Sobald die vollbesetzte Maschine auf dem Flughafen Qingdao Liuting gelandet ist, setzt sich eine
beeindruckend durchorganisierte und effizient vorgehende Einreisemaschinerie in Gang, die sich
durch die vorhergehenden Charterflüge perfekt eingespielt zu haben schien. Sofort nach dem
Verlassen des Flugzeuges wurden die Passagiere von einem Bataillon in Schutzanzügen gehüllter
Mitarbeiter sowie einem roten Banner mit der Aufschrift auf Chinesisch und Deutsch „Deutsch-
Chinesische Luftbrücke: Charterflug von Frankfurt nach Qingdao“ in Empfang genommen. Durch
einen Parkour, der die Prüfung verschiedener Dokumente, sowie mehrere Temperaturtests und einen
Corona-Test beinhaltete, gelangten alle Reisenden schließlich in einen Bus, dessen Sitze mit
Plastikfolien umhüllt und dessen Fahrersitz mit einer Plane abgedichtet waren. Während der zwei
Stunden Fahrt zum Hotel verfolge ich aufmerksam das Geschehen draußen. Ich bin seltsam
aufgeregt, wieder in China zu sein und entzücke mich am Anblick der typischen Szenerie einer
seelenlosen, chinesischen Vorstadt: Wolkenkratzer und leerstehende Wohnsilos, ausnahmslos weiße
Autos, Essen ausliefernde Rollerfahrer – ich bin auf eine bizarre Weise begeistert.
Wie das Mangrove Coconut Hotel im Bezirk Huangdao, 30 km südlich von Qingdao, zu seinem
Namen gekommen ist, wird sein Geheimnis bleiben, denn es sind weit und breit weder Mangroven,
noch Kokosnusspalmen zu sehen. Stolz ragt es direkt über das dahinterliegende Meer. Neben ihm
steht eine aus weißen Stahlstangen bestehende, kitschige Nachbildung einer Kirche, was dem
ganzen wohl etwas kosmopolitisches Flair verschaffen soll. Als wir aus dem Bus steigen, erwarten
uns wieder Schutzanzüge und die deutsch-chinesische Freundschaft beschwörende Spruchbanner.
Nun wird ein Gast nach dem anderen eingecheckt und auf sein Zimmer gebracht. Die Übernachtung
ist mit 700 RMB (ca. 90 €) nicht gerade günstig, dafür werden wir aber auch viel Zeit auf den
Zimmern verbringen. Als mich einer der freundlichen Schutzanzüge mit meinem Koffer in der
Hand mich auf mein Zimmer begleitet, werde ich etwas wehmütig: das sind sie nun also, meine
letzten Minuten in Freiheit.
Ich habe das Glück, meine Quarantäne in einem relativ großen Zimmer mit Balkon verbringen zu
dürfen. Von dort aus schaue ich auf den Strand direkt vor dem Hotel, die Weite des rauschenden
Meeres, eine sich wohl noch im Bau befindlichen Pool-Anlage, weiter hinten das urbane Zentrum
des Bezirks Huangdao mit einigen blinkenden Wolkenkratzern und dahinter sogar eine Reihe Berge.
Aus Seuchenschutzgründen wurden die Klimaanlagen des Hotels ausgeschaltet, die Temperaturen
steigen deutlich über 30, eher 35 Grad. Über den Wolkenkratzern von Huangdao liegt nun eine
dicke Nebelwolke, von der ich hoffe, dass sie größtenteils aus Wasserdampf bestehen möge, deren
dieselartiger Geruch sie aber als Smogwolke verrät. Die Balkontüre bleibt also vorerst geschlossen.
Zweimal am Tag kommt eine junge Frau im Schutzanzug vorbei und misst mit einer
Thermometerpistole meine Temperatur. Sie ist über Tage hinweg der einzige Mensch, den ich zu
sehen bekomme. Dreimal am Tag wird zu sehr verlässlichen Zeiten eine Portion Essen vor der Tür
abgestellt. Alle zwei bis drei Tage wird ein Sixpack Qingdao-Bier (von der Qingdaoer
Stadtregierung spendiert) sowie einige Dosen Cola-Light und Sprite dazugestellt.
Um die Verbreitung des Virus zu verhindern, benötigt man in China seit einigen Monaten zum
Betreten öffentlicher Gebäude einen grünen Code auf einer Gesundheitsapp. Diese App zeichnet im
Hintergrund auf, wo man sich aufgehalten hat und wem man dabei begegnet ist. Das Komplizierte
ist jedoch, dass jede Provinz ihre eigene App und ihren eigenen Code hat.
Als wir unsere Zimmer verlassen, bekommen wir ein Quarantänezertifikat ausgehändigt. Bis unsere
Gesundheitsapp für Beijing einen grünen Code anzeigt, kann es noch einige Tage dauern. Eine
etwas besorgniserregende und surreale Vorstellung, aufgrund technischer Verzögerungen für weitere
Tage ein Aussätziger zu sein. Andererseits, diese Apps haben bei der Eindämmung der Pandemie
einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Die Übersetzer, die uns während der Quarantäne über Wechat betreut haben, stehen am Ausgang
Spalier und wir schütteln allen freundlich die Hände, ohne wirklich zu wissen, mit wem genau wir
die letzten zwei Wochen über Stromausfälle und Essenslieferungen gechattet haben.
Vor uns liegt ein so gut wie pandemiefreier Alltag.